Ich traf meine Nachbarin Mary am Tag nach unserem Einzug. Alles lief gut, bis sie eine merkwürdige Fixierung auf meinen Keller entwickelte und immer wieder danach fragte. Was war im Keller? Und warum war sie so neugierig darauf?
Ein Neuanfang – oder doch nicht?
Ein Umzug in ein neues Zuhause sollte sich wie ein frischer Start anfühlen. Neue Wände, neue Erinnerungen und ein Ort, den man ganz für sich gestalten kann. Genau das hatte ich mir erhofft, als wir dieses charmante zweistöckige Haus in einer ruhigen Nachbarschaft kauften.
Doch das Schicksal hatte andere Pläne.
Unsere neue Heimat lag in einer wunderschönen, von Bäumen gesäumten Gegend. Es war die Art von Nachbarschaft, in der sich die Leute von ihren Veranden aus zuwinkten und Kinder bis zum Einschalten der Straßenlaternen mit ihren Fahrrädern fuhren.
Es fühlte sich sicher an.
Unsere neuen Nachbarn waren freundlich, einige stellten sich sogar direkt am ersten Tag vor.
Aber eine stach besonders hervor. Mary.
Sie war eine Frau in ihren Fünfzigern und erinnerte mich sofort an meine Mutter. Es lag nicht nur an ihrem Alter – es war ihre Art, sich zu geben, die einen sofort beruhigte.
Am Tag nach unserem Einzug klopfte sie an meine Tür und hielt eine frisch gebackene Torte in den Händen.
„Willkommen in der Nachbarschaft,“ sagte sie mit einem freundlichen Lächeln.
„Oh, wow, danke! Das ist wirklich lieb von Ihnen.“ Ich nahm die Torte entgegen, die noch warm in ihrer Form lag. „Das wäre doch nicht nötig gewesen.“
Sie winkte ab. „Unsinn. Ein Umzug ist anstrengend. Und ein Stück Kuchen hat noch niemandem geschadet.“
„Da kann ich nicht widersprechen,“ lachte ich. „Ich bin übrigens Lara.“
„Mary. Freut mich, dich kennenzulernen, Liebes.“
Wir unterhielten uns eine Weile über die Gegend, die besten Supermärkte und wo es den besten Kaffee gab. Sie war freundlich und offen, und ich dachte, dass ich großes Glück hatte, sie als Nachbarin zu haben.
Von da an grüßten wir uns jedes Mal, wenn wir uns sahen.
Die seltsamen Fragen
Zunächst hielt ich sie einfach für eine nette Person. Aber mit der Zeit begann ich mich zu fragen, ob sie nicht vielleicht etwas erwartete – oder ob sie einfach nur einsam war.
Ein paar Wochen später stand sie wieder vor meiner Tür. Diesmal mit einer Schale, die mit Alufolie bedeckt war.
„Ich habe zu viel Lasagne gemacht,“ sagte sie. „Vielleicht habt ihr Lust auf etwas davon?“
„Oh Mary, du musst uns wirklich nicht so verwöhnen.“
Sie lächelte – aber da war etwas in ihrem Blick. Ein Hauch von Traurigkeit.
„Ich koche gern für andere,“ meinte sie. „Meine Kinder sind erwachsen, und mein Mann… na ja, er ist nicht oft zu Hause.“
Ich lud sie ein, und wir setzten uns an den Küchentisch.
„Gefällt dir das Haus?“ fragte sie, während sie gedankenverloren mit ihrem Löffel Kreise zog.
„Ja. Es ist perfekt für uns.“
„Das dachte ich auch,“ murmelte sie fast für sich selbst. Dann sah sie mich an. „Habt ihr den Keller schon eingerichtet?“
Ich runzelte die Stirn. „Nicht wirklich. Er dient gerade eher als Abstellraum.“
Sie nickte. „Es ist ein toller Raum. Viel Potenzial.“
Dann zögerte sie kurz.
„Brauchst du Hilfe da unten?“ fragte sie plötzlich. „Ich könnte dir ja etwas hochbringen?“
Ich schüttelte den Kopf. „Das ist lieb, aber wir kommen klar.“
„Oh, natürlich. Ich war nur neugierig.“ Sie nahm einen Schluck Kaffee. „Wie ist er denn so aufgeteilt?“
Ich zögerte. „Äh… es ist eben ein Keller. Ziemlich gewöhnlich.“
Sie summte leise und tippte mit den Fingern auf ihre Tasse.
Damals dachte ich mir nichts weiter dabei. Aber jetzt, im Rückblick, sehe ich das Muster.
Es waren immer wieder kleine Bemerkungen und scheinbar harmlose Fragen – die sich aber immer um den Keller drehten.
Ein unheimlicher Besuch
Eines Abends war Mary wieder bei mir zu Besuch. Sie war hereingekommen, wie sie es oft tat, und wir tranken Tee in der Küche.
Doch irgendetwas fühlte sich seltsam an.
Vielleicht lag es daran, dass sie immer wieder zum Flur schaute. Oder daran, dass ihre Finger nervös auf die Arbeitsplatte trommelten, als würde sie auf etwas warten.
Irgendwann entschuldigte ich mich kurz, um ins Bad zu gehen.
Aber als ich zurückkam – war sie verschwunden.
Ich suchte die Haustür. Sie war von innen verschlossen.
Mary musste also noch im Haus sein.
Ein ungutes Gefühl breitete sich in mir aus.
Dann hörte ich es. Ein leises Geräusch – unten im Keller.
Mein Magen zog sich zusammen, als ich die Treppe hinuntereilte. Und dann sah ich sie.
Sie stand in der Ecke und durchwühlte eine Schublade.
„Mary?“ Meine Stimme war schärfer als beabsichtigt.
Sie wirbelte herum, die Augen weit aufgerissen. „Oh! Lara, ich—“
„Was zum Teufel machst du hier unten?“ Meine Stimme bebte vor Wut. „Das ist Hausfriedensbruch! Wonach suchst du?“
Ihre Hände zitterten, als sie die Schublade schloss.
„Ich… Es tut mir leid,“ stammelte sie. „Ich hätte das nicht tun sollen…“
„Nicht tun sollen?“ wiederholte ich. „Du hast dich in meinen Keller geschlichen! Was wolltest du hier?“
Sie schwieg. Dann flüsterte sie erneut: „Es tut mir leid.“
Aber das reichte mir nicht.
„Raus.“
Sie zögerte, öffnete den Mund, als wolle sie etwas sagen – doch dann lief sie an mir vorbei, nahm ihren Mantel und verschwand aus meinem Haus.
Das Geheimnis hinter der Wand
Diese Nacht konnte ich nicht schlafen. Mary hatte gezielt in einer bestimmten Ecke des Kellers gesucht.
Ich untersuchte die Wand – und dann spürte ich es.
Ein kleiner, versteckter Mechanismus.
Als ich darauf drückte, öffnete sich eine geheime Klappe. Dahinter war eine alte, abgenutzte Schachtel.
Darin: Fotos.
Auf den Bildern erkannte ich sofort jemanden – den Vorbesitzer unseres Hauses.
Und dann sah ich die Frau an seiner Seite.
Mary.
Es waren Bilder von ihnen beiden. Lächelnd. Händchen haltend. Vertraut.
Mary war nicht einfach eine neugierige Nachbarin. Sie war die Geliebte des Vorbesitzers gewesen.
Ich brachte ihr die Kiste zurück. Sie weinte. „Wir liebten uns. Über 30 Jahre lang.“
Doch sie waren beide verheiratet. Getrennte Leben, aber ein gemeinsames Geheimnis.
Liebe ist nicht immer richtig. Manchmal treibt sie Menschen zu Dingen, die sie nicht kontrollieren können.